Toleranz: Ein Privileg der Mächtigen?

Sozialwissenschaftlerin Claudia Brunner deckt Asymmetrien auf

Nicht immer werden rein humanistische Ziele verfolgt
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Fresach – Toleranz gilt gemeinhin als unverzichtbarer Bestandteil einer aufgeklärten, liberalen Gesellschaft. Sie wird gerne zum moralischen Prinzip erhoben und als Norm gesetzt, doch die Forderung nach mehr Toleranz ist oft sehr widersprüchlich und nur zu oft ein Privileg der Macht. Die Sozialwissenschaftlerin Claudia Brunner plädiert dafür, die konkreten Anlässe, bei denen Toleranz gefordert wird, kritisch zu hinterfragen und den Begriff selbst einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Am kommenden Freitag, 22. Mai, spricht sie bei den Europäischen Toleranzgesprächen in Fresach. http://www.fresach.org

Für Brunner ist Toleranz kein zivilisatorisches Allheilmittel, sondern vielmehr ein machtbewusster Diskurs, der von Konflikten und Asymmetrien geprägt ist und in ganz konkreten politischen Verhältnissen in Erscheinung tritt. In Anlehnung an TheoretikerInnen wie Brown, Forst und Zizek kritisiert sie, dass hinter der Forderung nach mehr Toleranz immer auch Eigeninteressen dominanter Positionen stehen und trotzdem der fälschliche Schluss gezogen wird, dass mit Toleranzbegehren rein humanistische Ziele verfolgt werden.

Toleranz dämpft Konflikte zwischen konträren Interessen und ist ein wichtiger Bestandteil für ein friedliches Miteinander. Gleichzeitig ist die Rollenverteilung aber selten gerecht und die Entscheidung, wie weit Toleranz geht, mitunter den etablierten Eliten vorbehalten. Dementsprechend kann Toleranz nicht nur als moralisch hochwertige, emanzipatorische Forderung in Erscheinung treten, sondern auch als repressives Herrschaftsinstrument, meint Brunner.

Diese Überlagerung der Toleranzdebatte durch Machtinteressen kommt für die Wissenschafterin insbesondere dann zum Vorschein, wenn politische Differenzen kulturalisiert werden. Die gegenwärtige Erfolgsgeschichte von Toleranz als Leitbegriff neoliberal-kapitalistischer Demokratien wäre ohne die Kulturalisierung des Politischen nicht denkbar. Anstatt systemimmanente Ungleichheit, Ausbeutung und Ungerechtigkeit zu hinterfragen, werden die Gründe für politische sowie ökonomische Missstände in der Existenz von Intoleranz gesucht. Mithilfe der Aneignung des vermeintlich apolitischen Begriffs der Kultur - und in dessen Gefolge auch der Toleranz - werden Unterschiede als naturgegeben betrachtet. Dadurch kommt es zur erfolgreichen Durchsetzung bestimmter bereits etablierter Interessen und Normen und zur Festigung bestehender Hierarchien, bei gleichzeitiger - und das ist das besonders Trickreiche daran - Rede von Toleranz, die dann bestenfalls als Ersatz für Gleichheit fungiert.

Mit ihrem Blick hinter den Toleranz-Begriff zeigt Brunner auf, dass Toleranzdebatten zwar gegen Vorurteile ankämpfen, dabei aber oft verabsäumt wird, diese selbst in ihrem jeweils konkreten Kontext näher zu analysieren.

Claudia Brunner (*1972) ist Assistenzprofessorin am Zentrum für Friedensforschung und Friedenspädagogik der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Sie hat in Wien, Paris und Berlin Politikwissenschaften studiert und wurde für ihre transdisziplinären Arbeiten mehrfach ausgezeichnet. Sie beschäftigt sich insbesondere mit Zusammenhängen zwischen politischer und epistemischer Gewalt, also mit der Funktion, die Wissensproduktion in multiplen Gewaltverhältnissen einnimmt. Weitere Arbeitsbereiche ihrer Forschung und Lehre sind Kritische Friedens- und Konfliktforschung, Wissenssoziologie und Diskursforschung sowie Feministische Perspektiven in den Internationalen Beziehungen. Vor diesem Hintergrund betrachtet sie in ihrem Beitrag Toleranz als Privileg der Macht.

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