Fresach: Menasse für wehrhafte Friedenspolitik

Eröffnung der Toleranzgespräche mit guter und schlechter Nachricht

Robert Menasse eröffnete die Europäischen Toleranzgespräche 2022 in Fresach.
Robert Menasse eröffnete die Europäischen Toleranzgespräche 2022 in Fresach.(Alle hier veröffentlichten Pressefotos stehen zum honorarfreien Abdruck zur Verfügung.)Download

Fresach – Die Europäischen Toleranzgespräche 2022 wurden am Donnerstag im Kärntner Bergdorf Fresach mit einem historisch unterlegten Plädoyer für eine "nach-nationale europäische Demokratie" eröffnet. Die Europäische Union habe sich immer aus und durch Krisen fortentwickelt, derzeit sei sie mit "multiplen Krisen" konfrontiert. Zur Überwindung dieser Krisen müsse sich Europa von seinen nationalen Egoismen verabschieden, so der österreichische Buchautor Robert Menasse in seiner Eröffnungsrede, die live im Internet übertragen wurde.

Der Autor des Buchbestsellers "Die Hauptstadt" eröffnete seine Rede mit einer guten und einer schlechten Nachricht für Europa. Er sprach davon, dass sich die Europäische Union "fortentwickelt" (gute Nachricht), dass die starken Nationalismen aber einer weiteren Einigung im Weg stehen. Seit der programmatischen Rede von Angela Merkel in Brügge 2010 werde nicht mehr von "Europäischer Integration" gesprochen, sondern bloß von "Zusammenarbeit". Das sei entschieden zu wenig für das Einigungsprojekt. Offenbar muss Europa zuerst nochmal in "Trümmern" liegen, bevor es zu einer echten Integration kommt.

Menasse sagte konkret, wesentliche Ursache für die Mängel und Fehler in der Politik der Europäischen Union seien der Nationalismus in den Staaten und die starke Stellung des Europäischen Rates, der sich aus den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten bildet. Die Krisen zeigten so "die Beschränktheit des europäischen Projekts".

Europäische Kommission degradiert

"Die Nationen sind das Problem", erklärte der Essayist, denn in der EU und im Rat dominiere "der Ausgleich nationaler Interessen". Der Europäische Rat habe eine starke Position, die in den Europäischen Verträgen gar nicht gedeckt sei. Die so von der damaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brügge 2010 geforderte Zusammenarbeit (der Staaten) würde nun die eigentliche Idee der europäischen Integration ersetzen. Die Europäische Kommission sei also "degradiert" worden, der Europäische Rat entscheidet.

In diesem Sinne, merkte Menasse kritisch an, entwickle sich Europa auch fort: nämlich fort von Idealen und Utopien.

Eine positive Fortentwicklung sei - historisch betrachtet - durchaus gelungen, allerdings nur in kleinen Schritten. So seien schrittweise zuerst der Binnenmarkt entwickelt, Jahre später die gemeinsame Währung eingeführt worden. Grenzen seien in der EU durch das Schengen-Abkommen abgebaut worden, die europäische akademische Ausbildung an Universitäten durch den Bologna-Prozess (Erasmus) möglich geworden.

Es geht um die Souveränität der Bürger

In der allgemeinen "Geschichts-Vergessenheit" komme es jedoch zu einer "Re-Nationalisierung", kritisierte Menasse. Das Wort "Niemals vergessen" nehme auf die historischen Ursachen für die Gründung der EU Bezug - gemeint sind der "Zweite Dreißigjährige Krieg" (1. und 2. Weltkrieg) und dessen Verbrechen - doch nun stehe wieder die Souveränität der Nationen im Vordergrund, dabei gehe es im Grunde um die Souveränität der Bürger.

Ob er eine Vorhersage treffen könne, fragte Menasse. Und antwortete: Wenn die Nationalisten noch einmal Europa in Brand setzen sollten, dann würden die Menschen anschließend zwischen rauchenden Trümmern sitzen und sich gegenseitig versprechen, diesmal ein friedliches Europa aufzubauen. Warum also, fragte Menasse, nicht gleich?

Wehrhafte Friedenspolitik entwickeln

Menasses optimistisches Fazit: Europas Einigung habe sich aus Krisen entwickelt. Warum sollte das nicht weiterhin möglich sein? Sein pessimistisches Fazit: Der nationalistische Rückfall (Backslash) sei aktuell "zu stark", denn gegenwärtig werde etwa die Ukraine durch Russland "in den Nationalismus zurückgebombt."

Was tun? Europa sollte jedenfalls eine wehrhafte Friedenspolitik entwickeln und sich endlich vom Nationalismus verabschieden. Das wäre eine Fortentwicklung, wie Robert Menasse sie versteht. Die ganze Eröffnungsrede der Toleranzgespräche ist auf YouTube abrufbar. https://www.youtube.com/watch?v=-wQtMn2dRYg

Zum Seitenanfang