"Charme-Offensive" Russlands in der Ukraine

Harte Kritik an der EU-Außenpolitik - Bündnisfreiheit und Föderalisierung als Ziel

Russische Freunde in Wien: Prof. Gerhard Mangott, Botschafter Sergej Netschajew, Ex-Banker Ludwig Scharinger und Journalist Hans V. Haumer
Russische Freunde in Wien: Prof. Gerhard Mangott, Botschafter Sergej Netschajew, Ex-Banker Ludwig Scharinger und Journalist Hans V. Haumer (Alle hier veröffentlichten Pressefotos stehen zum honorarfreien Abdruck zur Verfügung.)Download

Wien – Eklatante Fehler, Größenwahn und bewusste Falschinformation: Das wirft die Österreichisch-Russische Freundschaftsgesellschaft (ORFG) der Europäischen Union in der Ukraine-Politik vor. Der "innerstaatlich begrenzte bewaffnete Konflikt" (Bewertung Prof. Mangott) sei primär eine Folge der EU-Anstrengungen, die Ukraine ins westliche Lager zu ziehen. Das werde Russland aus Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen niemals akzeptieren, so der Tenor einer Podiumsdiskussion am Mittwoch abend im Palais Kaiserhaus in Wien. http://www.orfg.net

Der Präsident der Freundschaftsgesellschaft, Ludwig Scharinger, ging gleich in der Eröffnung in Frontalopposition zur EU und lobte den Beitrag Putins zur Stabilität in Russland. Er kritisierte die EU-Sanktionen und Vasallenmentalität gegenüber den USA und hob die guten Beziehungen Österreichs zu Moskau hervor. Eine "Charme-Offensive" Russlands im Westen könnte die Desinformation der westlichen Medien beenden und für Aufklärung sorgen, meinte der Alt-Raiffeisenbanker, der entsprechende Maßnahmen treffen will.

Weiße Schafe

Noch drastischer echauffierte sich der Journalist und Autor Hans V. Haumer. Er warf den heimischen Medien vor, ein einseitiges Bild der Lage zu zeichnen und empfahl als Alternative "Russia Today". Haumer nannte die EU in der Region einen "Brandstifter", und warnte vor einem neuen Kalten Krieg. Es fehle an grundlegendem Respekt, man sei von Deeskalation weit entfernt. Die EU wolle den Energieriesen Russland schwächen, um Zugriff zu Pipelines und Erdgassystemen zu bekommen. "Vorgestern war es Georgien, heute die Ukraine, und morgen sind Kasachstan und Aserbaidschan dran", wetterte Haumer.

Russlands Botschafter Sergej Netschajew rollte die Genesis der Ukraine-Krise auf, um zu verdeutlichen, dass sich sein Land von Anfang an zurückgehalten und zu keinem Zeitpunkt in die inneren Angelegenheiten eingemischt habe. Die Besetzung der Krim argumentierte der Botschafter bedächtig mit der jahrhundertelangen Zugehörigkeit der Halbinsel zu Russland und internationalen Verträgen, die der Schwarzmeerflotte die militärische Präsenz von 25.000 Soldaten zusichert. Die russischsprachige Bevölkerung habe zu den Waffen gegriffen, weil ihre Identität durch das "unrechtmäßige" Regime in Kiew gefährdet sei. Das Referendum und der Beitritt der Krim zur Russischen Förderation seien "absolut legitim".

Grüne Männchen

Der Politikwissenschafter und Russlandkenner Gerhard Mangott skizzierte die Rolle Russlands in dem Konflikt differenzierter. Er sprach von inakzeptablen Verstößen Moskaus gegen das Völkerrecht, wie etwa die Besatzung der Krim mit "grünen Männchen" ohne Hoheitsabzeichen. Doch auch die EU trägt Verantwortung. Sie sei "Mitverursacher" der Krise und "kein ehrlicher Makler". Ja sie sei erstaunlich naiv was Machtpolitik anlangt. So habe er, Mangott, nie verstanden, warum die EU im Rahmen des EU-Assoziationsabkommens auf trilaterale Gespräche verzichtet und einen "unnötigen" Artikel 7 hineingeschrieben habe, der Außen-, Sicherheits und Verteidigungsfragen behandelt.

Jeder hätte ahnen können, was das für Russland bedeutet. Die Vorstellung, die Ukraine-Krise gegen und ohne Russland zu lösen, sei nicht denkbar. Die Fehler summierten sich. Nach dem Abkommen der drei Außenminister vom 21. Februar zur Beruhigung der Lage wäre es die wichtigste Aufgabe der EU gewesen, diese Vereinbarung zu verteidigen. Nicht die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit war allerdings die Folge, sondern eine 2-Parteien-Regierung bestehend aus Rechtsextremen und westukrainischen Nationalisten. Das sei keine nationale Versöhnung, weder auf Parteien-, noch auf Regionenebene.

Breiter Dialog gefordert

Mangott gab zu bedenken, dass die Regierung in Kiew jede Glaubwürdigkeit verspielt habe. Die schlechte Bewertung in repräsentativen Umfragen (lediglich 7% der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine stuft sie noch als legal ein) gehe weit über aufständische Elemente hinaus. Um eine Verhandlungslösung zu finden, müssten alle Kräfte in den Dialog eingebunden werden, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen. Eckpunkte einer künftigen Lösung für die politische Stabilität der Ukraine sieht Mangott demgemäß in der "Bündnisfreiheit, Föderalisierung und Dezentralisierung" des Landes.

Der Innsbrucker Politikwissenschafter warnte überdies davor, weiter über eine mögliche dritte Stufe der Sanktionen zu sprechen. Auch wenn man in Polen und in den baltischen Staaten anders denkt: Die EU sollte davon Abstand nehmen, das würde nur zu einer weiteren Verschärfung der Situation beitragen. Besser sollte mehr Druck auf die ukrainische Regierung ausgeübt werden, breitere Grundlagen für einen nationalen Dialog zu schaffen und den Runden Tisch ernst zu nehmen, natürlich aber nur wenn die Waffen niedergelegt werden.

Falsch- und Fehlinformationen

Im Publikum regte sich bei so viel Anti-EU und Pro-Russland-Stimmen Kritik. Der ehemalige österreichische Außenminister Erwin Lanz sagte, man solle sich von der russischen Propaganda nicht für dumm verkaufen lassen. Was Russland ureigene Sicherheitsinteressen nennt, sei in Wahrheit brutale Machtpolitik, in der jedes Mittel recht ist. Die Erfahrungen des Weltkriegs, der sowjetischen Diktatur und der Menschenrechtsverletzungen bis in die jüngste Zeit haben Europa lernen lassen, was vom russischen Vorgehen zu halten ist.

Aus seiner Sicht wird der Konflikt außerdem "zu juristisch und formalistisch" behandelt, man solle doch einmal an die betroffenen Menschen denken. Eine Befriedung und Demokratisierung der Ukraine sei nur mit den Menschen, und nicht gegen und über die "Ukraine drüber" machbar, sagte Lanz. Ein anderer Teilnehmer stellte die Frage, warum über die militärischen Operationen Russlands keine Informationen geliefert werden. "Russia Today" oder "Charme-Offensiven" seien wohl nicht die richtige Antwort darauf.

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