Im Land der Naturkatastrophen

Trotz Klimawandel, Gletscherschwund & Co profiliert sich Kirgisien als Tourismusdestination

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Osh – Zwischen den zentralasiatischen Hochgebirgen von Pamir und Tien Shan brauen sich an diesem Julitag Gewitterwolken zusammen. Unüblich für die heiße Jahreszeit mit ihrem kontinentalen Wüstenklima, aber doch mit Aussicht auf Abkühlung. Drückende Schwüle mit Temperaturen bis zu 45 Grad liegt sommertags über Kirgisien, einem Land, das zu 90 Prozent von hohen Bergen bedeckt und zu hundert Prozent vom Schmelzwasser der Gletscher abhängig ist. Ohne diese Wasserspeicher würde die extensive Landwirtschaft im Ferganabecken veröden und die Stromproduktion der Wasserkraftwerke versiegen.

2.200 Gletscher im Land

Kirgisien ist reich an Bodenschätzen und arm an Bevölkerung. Das Preisniveau ist so gering, dass man als Tourist gerne großzügig sein kann. Das gebirgige Land beherbergt mitsamt seinen Grenzregionen zu Usbekistan im Westen, Tadschikistan im Süden, Kasachstan im Norden und China im Osten immense 2.200 Gletscher im Ausmaß von weit über 15.000 Quadratkilometern, die im Zuge der globalen Erderwärmung schwer bedroht sind und die ihrerseits durch den Aufstau gewaltiger Schmelzwassermengen im Gebirge eine Bedrohung für ganze Tallandschaften darstellen, wenn solcherart gebildete Gletscherseen ausbrechen.

Die nordsüd und ostwest verlaufenden, malerischen Gebirgsketten und ihre zauberhaften Seen sind nicht nur Anziehungspunkt für Bergsteiger und Wanderer, sondern auch Ursprung immer wiederkehrender Naturkatastrophen. Land und Leute fürchten schwere Erdbeben und die darauf folgenden Schlamm- und Geröll-Lawinen, die regelmäßig ganze Landstriche verwüsten. Hinzu kommen die verheerenden Umweltschäden des nahezu unkontrollierten Abbaus von Bodenschätzen durch chinesische und kanadische Bergbaufirmen. Experten haben errechnet, dass die Naturkatastrophen bis zu einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes kosten.

Gletscher als unverzichtbarer Süßwasserlieferant

Die mächtigen Gletscher im Pamir und Tien Shan speisen etliche Flüsse und sind ein unverzichtbarer Süßwasserlieferant für die nomadisierenden Kirgisen im Bergland ebenso wie für die ackerbauenden Usbeken in der Ebene. Amudarja, Syrdarja und Tarim werden mit Schmelzwasser von bis über 600 mm pro Jahr gespeist. Weit über 70 Prozent werden in 3.000 bis 7.000 Metern Seehöhe gebildet. Auf dieses Schmelzwasser ist die Landwirtschaft gerade in den trockenen Sommermonaten angewiesen, wenn die Niederschläge nahezu auf null sinken.

Da mehr als 30 Prozent des BIP Kirgisiens durch landwirtschaftliche Erzeugnisse erwirtschaftet werden, ist die Bedeutung des Schmelzwassers für die Wirtschaftskraft des Landes groß. Wassermangel kann zu Ernte-Ausfällen und damit zu Hunger und Armut in den betroffenen Regionen führen. Wird es rar, kommt es regelmäßig zu bewaffneten Konflikten, wie zuletzt im Süden zwischen Kirgisen und Tadschiken, und im westlich gelegenen Ferganabecken zwischen Kirgisen und Usbeken, die politisch wiederum autoritäre Tendenzen in der Hauptstadt Bischkek beflügeln.

Die Aufzeichnungen der Klimastationen zeigen über die letzten Jahrzehnte einen signifikanten Temperaturanstieg von fast zwei Grad und damit einen kontinuierlichen Rückzug der Gletscher, pessimistischen Prognosen zufolge könnte es bis zum Ende des Jahrhunderts sogar bis zu 8°C heißer werden. Experten gehen davon aus, dass die Gletscherflächen seit den 1960er Jahren bereits bis zu 40 Prozent geschrumpft sind und insbesondere an den Gebirgsrändern in mittleren Höhenlagen, zum Beispiel im humiden Norden und Nordwesten des Tien Shan und rund um den Pamir auftreten. Die Volumenänderungen der Gletscher spiegeln sich nicht nur in der veränderten Wasserführung der Flüsse in den Tälern wider, sondern auch in den rapide schrumpfenden Abflussmengen.

Die Folgen sind damit vorhersehbar: Häufigere Dürren ebenso wie Hochwasser, Überschwemmungen und dadurch ausgelöste Schlammlawinen werden den Druck auf die Wasser- und Landressourcen erhöhen und die ohnehin schon labile Situation in der Landwirtschaft sowie im Wasserkraftsektor verschlechtern. Experten fordern bereits Anpassungsmaßnahmen, die Modernisierung von Bewässerungsmethoden und -infrastruktur, um die Effizienz zu erhöhen und die Landnutzung an die verfügbaren Wasserressourcen anzupassen, etwa durch den Anbau von Kulturen, die weniger Wasser benötigen und auch Dürreperioden überstehen.

Augenschein am Pik Lenin

Trotz steigender Temperaturen und fallender Klimaprognosen: Nie zuvor waren die Gipfel des Pamir so beliebt wie in jüngerer Zeit. Es scheint gerade so, als ob der Song von Geier Sturzflug "Besuchen Sie Europa, solange es noch steht" hier besondere Gültigkeit hätte. Die Saison am Pik Lenin ist zwar kurz, aber intensiv. In den acht Wochen von Anfang Juli bis Ende August sind die Zelte und Yurten im schneefreien Basislager auf 3.600 Metern Seehöhe bis auf den letzten Platz gefüllt - mit Russen neben Amerikanern, Türken und Iranern neben Schweizern und Spaniern. Danach wird wieder abgepackt, doch der Gipfel bleibt offen für Individualisten.

Von Costa, dem alkohol- und nikotingeeichten Bergführer aus St. Petersburg, lassen wir uns die Entwicklung des touristischen Geschehens am höchsten Gipfel des Pamir (Pik Lenin, 7134 Meter) schildern, das so richtig professionell erst in den vergangenen 20 Jahren zu einem echten Business geworden ist. Diese kurze Zeitspanne reicht aus, um die gewaltigen Veränderungen am Berg zu dokumentieren, so etwa, dass auch das Lager 1 auf 4.400 Metern schon lange nicht mehr auf dem Eis aufgeschlagen wird oder dass der Weg zum Lager 2 inzwischen durch Gletscherbrüche so prekär ist, dass es ohne zusätzliche Sicherungsmaßnahmen nicht mehr geht.

Ob Lawinenabgänge mit vielen Opfern oder gewaltige Gewitter mit Donnerschlägen, die in den Bergen wie Bombeneinschläge widerhallen - das alles scheint die Risikofreude nicht zu bremsen. Erst im vergangenen Jahr verlor ein ungarischer Bergfreund sein Leben unter dem Gipfel, weil er sein mitgebrachtes Snowboard nicht mehr abschnallen wollte, berichtet Costa. Immer wieder müssen Leute aus der eisigen Gefahrenzone gebracht werden, weil sie die Höhe nicht vertragen oder ihre eigene Leistungskraft überschätzt haben. Die Profis sprechen vom "einfachsten 7000er", doch nur 50 Prozent der Gipfelstürmer schaffen ihn auch.

Der empfehlenswerte Tour-Operator für Pamir, Tien Shan & Co.: Central Asia Travel https://www.centralasia-travel.com

Fotodienst-Album zur Pamir-Expedition: https://fotodienst.pressetext.com/album/3805

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