Desinformation als Methode

Wenn die Lüge zur Wahrheit werden soll

Dr. Wilfried Seywald organisiert die Europäischen Toleranzgespräche in Fresach
Dr. Wilfried Seywald organisiert die Europäischen Toleranzgespräche in Fresach(Alle hier veröffentlichten Pressefotos stehen zum honorarfreien Abdruck zur Verfügung.)Download

Wien – Als Kommunikationsberater oder Journalist stellt man sich oft die Frage, in welche Richtung ein Pendel ausschlagen soll. Denn eines ist klar: das Ergebnis hängt von einer Handbewegung und dem Willen des Menschen ab, der das Pendel führt, und nicht von irgendwelchen kosmischen Einflüssen.

Dasselbe gilt auch für Meinungsumfragen, Statistiken oder sonstige Quellen: Man kann sich das gewünschte Ergebnis herbeireden, eben „richten“.

Abgeleitet vom Tennissport spricht man im politischen Geschäft vom „Spin“, den man einer Nachricht zur Interpretationshilfe mitgibt, um das gewünschte Resultat – also aktive Zustimmung oder passive Abstinenz – zu bekommen.

In unserer Jugend haben wir die Tischtennisbälle so scharf angeschnitten, dass sie vom Gegner kaum zu retournieren waren. Auch im täglichen Geschäft, egal ob Politik oder Wirtschaft, gibt es Leute, die sich rühmen, die Wahrheit so gut verdrehen zu können, dass sie a) schwer widerlegbar ist und b) beim Gegner Schaden anrichten, doch zumindest c) keine weiteren Probleme für den Urheber verursachen.

All diese Übungen sind natürlich harmlos, aber die Grundlage für Falschnachrichten bis hin zur bewusst gesteuerten Lüge. Was einmal funktioniert, geht auch öfter, was öfters funktioniert, wird Methode, und was zur Methode wird, kann Politik werden – also das tägliche Verdrehen von Informationen im gewünschten Sinne, bis sich niemand mehr auskennt, und im schlimmsten Fall abwendet.

„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“, besagt das Sprichwort. Was in privaten Beziehungen jedenfalls gilt, hat allerdings wenig Relevanz im öffentlichen und politischen Diskurs. Denn vieles wird rasch vergessen, überspielt oder schlichtweg verdrängt, wenn es keine Relevanz für das persönliche Umfeld oder Befinden hat.

Zur Erinnerung: Was Yline, Commerzialbank Mattersburg oder Wirecard mit ihren „Luftgeschäften“ vorgemacht haben, war nichts anderes als das kriminelle Kunststück, Anleger, Kunden und Partner so überzeugend professionell zu narren, dass sie – geblendet von der Strahlkraft der dortigen CEOs – Vertrauen und Geld investierten.

Es war pure Faszination für das Kommunikationsgeschick von Werner Böhm, die ihn groß gemacht hat, mit dem seine Yline zum Milliardenunternehmen (in Schilling) und kurz darauf zum Milliardengrab wurde, so als ob die Bewunderer ebenso wie Neider geradezu darauf gewartet hätten, hinters Licht geführt zu werden. Ja es stimmt, Kommunikation ist alles, und ohne Kommunikation alles nichts.

Schauen wir nach Russland und in die Ukraine – dann wird uns allerorten erzählt, dass der Westen wohl selbst schuld sei an diesem Krieg, weil NATO und EU immer näher an Russland herangerückt seien. Implizit geben die Vertreter diesen Denkens zu verstehen, dass EU und NATO eine Bedrohung für die russische Nation wären, obwohl dieselben Leute genau wissen, dass vom Westen schon längst keine Bedrohung mehr ausgeht.

Wenn allerdings ein über drei Jahrzehnte perfektioniertes Lügensystem am Werk ist, mit Fake News und Trollfabriken, mit einen Geheimdienst, der Spionage und Infiltration als Sport betreibt, mit Cybertruppen, die Soziale Netzwerke weltweit unterwandern und Popolisten beflügeln, mit einer Autokratie, die mit Geld besticht und jede Opposition im Keim erstickt, weil Demokratie „droht“, dann bleibt die Wahrheit auf der Strecke.

Das Lügensystem des Kremls hat seit Stalin Methode und wurde von Putin zu neuer Blüte gebracht. Lange wurde „nur“ getarnt und getäuscht, gelogen und betrogen, doch wer sich nur ein wenig mit den Kriegen Putins beginnend in Tschetschenien in den 1990er Jahren, später in Georgien, Transnistrien, Donbass usw. befasst, seinen historisch-politisch falschen Ansprüchen, der erkennt rasch das wahre Unterfangen hinter all diesen Bemühungen – hier soll die Lüge zur Wahrheit werden.

Wir, der Westen und alle Freunde der Freiheit und der Menschenrechte, sollten aufhören, uns vorzumachen, dass ein autokratisches System wie das des Kremls auf Dauer Bestand haben kann und als Dialogpartner zur Bewältigung zukünftiger Aufgaben in Frage kommt. Wir sollten aufhören, zu glauben, dass ein solches System überhaupt eine politische oder sogar moralische Legitimation hätte. Solchen Systemen kann man mit Toleranz im Denken und Handeln leider nicht beikommen.

Im Wirtschaftsleben sind Unternehmen oder Unternehmensführer, die Wahrheiten verdrehen und die Lüge zur Methode machen, binnen kürzester Zeit erledigt. Dass dies in der Politik so lange dauert, ist unverständlich und schwer nachvollziehbar. Aber es gibt Hoffnung. Wir sind im 21. Jahrhundert und haben definitiv andere Fragen zu lösen als Territorialkonflikte von umnachteten Ewiggestrigen. Dieser Wandel und diese Zeitenwende kann nur gelingen, wenn die Wahrheit siegt.

Dr. Wilfried Seywald organisiert die Europäischen Toleranzgespräche vom 1. bis 4. Juni in Villach und Fresach, die 2022 dem Thema „Wandel – Wie kommt das Neue ins System“ gewidmet sind. http://www.fresach.org

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