"Wir sind verurteilt, diesen Konflikt zu lösen"

Ukrainischer OSZE-Delegierter fordert Einhaltung des jüngsten Abkommens von Minsk

Nestor Schufritsch sieht das Südtiroler Autonomiestatut als Vorbild
Nestor Schufritsch sieht das Südtiroler Autonomiestatut als Vorbild(Alle hier veröffentlichten Pressefotos stehen zum honorarfreien Abdruck zur Verfügung.)Download

Wien – "Wir sind verurteilt, diesen Konflikt zu lösen. Doch wenn wir Schuldige suchen, werden wir keinen Frieden finden", erklärt der ukrainische Oppositionspolitiker und Geschäftsmann Nestor Schufritsch gegenüber pressetext am Rande der OSZE-Tagung in Wien. Er bezweifelt jedoch, dass die Regierung Poroschenko in der Lage ist, den Frieden in der Ukraine langfristig zu sichern.

Schufritsch: "Ich habe das Gefühl, Kiew hat vor Frieden genauso viel Angst wie vor Krieg." Einer friedlichen Lösung gibt er aber eine reelle Chance und verweist auf das jüngste Abkommen von Minsk. "Jede Konfliktpartei muss verstehen, dass sie den eingeschlagenen Weg bedingungslos und bis zum Ende gehen muss."

Nein zu Waffen aus Washington

Als einziger der sechs ukrainischen OSZE-Delegierten gehört Schufritsch zum Oppositionsblock. Dementsprechend spart er auch nicht mit Kritik an der aktuellen Regierung in Kiew und spricht die desaströse Wirtschaftslage in seinem Land an. "Es ist bequem, die Schuld für die wirtschaftliche Misere allein dem Krieg zuzuschieben." Die Regierung solle dafür die Verantwortung übernehmen. Ebenso stößt er sich an den Auftritten Poroschenkos: "Eine Uniform allein ist noch kein Beweis für militärische Begabung."

Großes Vertrauen bringt er hingegen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsidenten François Hollande entgegen, die er als "Garanten von Minsk" bezeichnet. Ebenso hofft er auf den Einfluss von Russlands Präsidenten Wladimir Putin auf die prorussischen Separatisten. Möglichen Waffenlieferungen aus den USA kann er derzeit nichts abgewinnen. "Das würde die Situation nur noch weiter verschärfen. Wir müssen vielmehr alle Möglichkeiten ausschöpfen, um eine weitere militärische Eskalation zu vermeiden", forderte Schufritsch.

Territorialer Verlust "niemals akzeptabel"

Der Ex-Minister machte unmissverständlich klar, dass er den Wegfall der Halbinsel Krim und des Donezk-Beckens niemals akzeptieren wird und bezweifelt überdies die Gültigkeit der kontroversen Referenden in den beiden Gebieten. Nichtsdestotrotz sei es aber Realität, dass Teile der dortigen Bevölkerung nicht länger zur Ukraine gehören wollen.

Angesprochen auf mögliche Auswege aus der Krise verwies Schufritsch auf Autonomiestatute wie in Südtirol oder Schottland, die mit ihren Regelungen als Vorbild dienen könnten. "Auch in meiner Geburtsstadt Uschhorod nahe der ungarisch-ukrainischen Grenze durften die Bewohner während der k.u.k-Zeit ihre eigene Sprache pflegen", meinte Schufritsch. In jedem Fall dürften sprachliche Minderheiten nicht benachteiligt werden.

Die blutigen Ereignisse auf dem Euromaidan in Kiew jähren sich in diesen Tagen zum ersten Mal. Schufritsch kritisiert, dass die jetzigen Machthaber eine Aufklärung der Ursachen bis heute schuldig bleiben. Seitdem mussten überdies Tausende ihr Leben lassen, weil die Regierung nach den ersten Minsker Verhandlungen im Juli 2014 auf die militärische Karte gesetzt haben. Schufritschs Haltung zur Revolution ist ambivalent. Einerseits habe das Volk damit demonstriert, dass es der einzige Machtträger sei, andererseits habe die neue Regierung nichts Neues gebracht und die Fehler aus der Vergangenheit wiederholt.

Geschäftsmann und Politiker

Schufritsch gilt als erfolgreicher Geschäftsmann, der in den 1990er-Jahren auch in Österreich aktiv war, derzeit laut eigenen Angaben aber ausschließlich in der Ukraine tätig ist. 1998 wurde er erstmals in die Rada gewählt. Unter dem gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch war Schufritsch Minister für Sonderangelegenheiten.

Schufritsch gehört zum Oppositionsblock, der 2014 aus der "Partei der Regionen" hervorgegangen ist. Er setzt sich vehement für eine Dezentralisierung des Landes ein und sieht sich unter anderem als Interessenvertreter der Bevölkerung im Südosten und Osten des Landes, die mehrheitlich russischsprachig ist. Schufritsch ist Mitglied der OSZE-Kontaktgruppe, bestehend aus Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE. Im vergangenen Herbst wurde er bei einer Wahlkampfveranstaltung in Odessa von wütenden Bürgern verprügelt.

Fotos zum Pressegespräch stehen unter http://fotodienst.pressetext.com/album/3433 als Download zur Verfügung.

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